Stadtteilarchiv Ottensen Altona

Frauengeschichte am Alma-Wartenberg-Platz

Am 8. März 1997, dem internationalen Frauentag, lud die Frauengeschichtsgruppe des Stadtteilarchivs Ottensen zur Einweihung des neu benannten Alma-Wartenberg-Platzes ein. Alma Wartenberg, die mit ihrer Familie in der Nähe gewohnt hatte, wurde gewürdigt mit Musik, Straßentheater und einer Ausstellung.

Alma Wartenberg 1908 Foto: Staatsarchiv Hamburg

Polizeiakte Alma Wartenberg

Verlesen wurden Originalzitate aus ihren vielbesuchten öffentlichen Vorträgen, mitgeschrieben von politischen Spitzeln und verwahrt in den Akten der Politischen Polizei im Staatsarchiv Hamburg:

„In den meisten Fällen finden wir gerade in einer armen unbemittelten Familie den größten Kindersegen. Die meisten Frauen werden jährlich Mütter, da wird der Körper der Frau dann so angegriffen, dass die Frau schon in dem besten Alter, wie man zu sagen pflegt, dem Siechtum verfallen ist.“

Alma Wartenberg mit Familie, Foto: Stadtteilarchiv Ottensen

„Wenn der Staat auch noch so viele Gesetze gegen den Rückgang der Geburten schafft, so muss die Frau doch Herrin über den eigenen Körper bleiben. Das Recht, sich gegen Geburten zu schützen, steht ihr selbst gegen den Willen des Ehemannes zu. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Frauen und Mädchen der arbeitenden Klasse über die Verhütung des Kindersegens aufzuklären.“

Alma Wartenberg 1913

Platz für Frauen in der Geschichte und im öffentlichen Raum

1993 hatte die Frauengeschichtsgruppe des Stadtteilarchivs beantragt, den nahe gelegenen Nernstweg, wo die streitbare Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin mit Mann und vier Kindern gewohnt hatte, in Alma-Wartenberg-Straße umzubenennen.

Am Nernstweg, Foto:Stadtteilarchiv Ottensen

„Hier im Stadtteil sucht frau und vielleicht auch man nach Straßen mit weiblichen Namen vergebens. Zwischen Hohenzollernring, Barner Straße, Gaußstraße, Klausstraße und Donnerspark nur Herren, Herrscher, Vögte, Naturwissenschaftler, Vorbesitzer des Geländes – und alle männlichen Geschlechts! Männer weisen die Wege, zeigen Frauen, wo´s langgeht – auf der Straße wie im Leben. Als ob es in Ottensen und anderswo nicht nennenswerte Frauen gäbe.“

1996 wurde beschlossen, den postalisch namenlosen „Friedenseichenplatz“ – inoffiziell so bezeichnet wegen der früher dort wachsenden „Friedenseiche“ – umzutaufen bzw. offiziell zu benennen.

Herstory und Alltagsgeschichte

„Gegen die Strategie der Nichtbeachtung, des Nichtbenennens und des Vergessen-Machens“ kämpfte schon die Frauenbewegung zur Zeit Alma Wartenbergs und nun die Neue Frauenbewegung – auch in Fragen der Geschichtsschreibung. „Herstory“ war das Stichwort, unter dem die Aktivistinnen sowohl weibliche Persönlichkeiten, die in Politik und Kultur Geschichte gemacht hatten, als auch die Lebensumstände einfacher Frauen ins öffentliche Geschichtsbewusstsein rückten. Das Stadtteilarchiv Ottensen, angetreten, um „Alltagsgeschichte von unten“ zu erforschen, interviewte schon seit Jahren alteingesessene Ottenser und Ottenserinnen und baute ein Foto- und Dokumentenarchiv auf.

Louise Schroeder, Parteigenossin von Alma Wartenberg

Herkunft: Arbeiterviertel Altona-Altstadt

Ebenfalls aus einer Arbeiterfamilie und aus der damals selbständigen Stadt Altona stammte Louise Schroeder, Parteigenossin und gute Bekannte von Alma Wartenberg, die sich wie sie für die Rechte von Frauen und besonders von Müttern stark machte.

 

Am 2. April 1887 wurde Louise Schroeder in der Bürgerstraße 11 (heute Thedestraße) in der Stadt Altona als Tochter des Bauarbeiters und Sozialdemokraten C. A. J. Schroeder und seiner Frau Dorothea geboren. Nach dem Besuch der Mittelschule und der kaufmännischen Gewerbeschule für Mädchen in Hamburg fand sie Anstellung als Stenotypistin und Sekretärin bei einer Hamburger Versicherungsgesellschaft.

Louise Schroeder, ca. 1910, Foto: Privater Familiennachlass

1910 trat Louise Schroeder in die SPD ein und gehörte fünf Jahre später zum Vorstand des Ortsvereins Altona-Ottensen. Als Frauen 1918 in der Weimarer Republik das aktive und passive Wahlrecht erhielten, wurde sie über die Schleswig-Holsteinische Landesliste in die Verfassunggebende Nationalversammlung in Weimar gewählt.

Engagement für Mutterschutz im Deutschen Reichstag

Dort und im Reichstag in Berlin, dem sie bis 1933 als Abgeordnete angehörte, setzte sie sich erfolgreich für sozialpolitische Gesetzesreformen ein, unter anderem für das erste deutsche Mutterschutzgesetz, das als „Lex Schroeder“ bekannt wurde.

„Erschütternd ist die Zahl der Totgeburten und der im ersten Lebensjahr Gestorbenen… Dazu kommt die große Zahl von Frühgeburten, in erster Linie von Frauen, die in der Industrie beschäftigt sind. Es sollte mich wundern, dass es in Deutschland noch jemanden geben sollte, der den Frauen nicht ermöglichte, sechs Wochen vor der Entbindung von der Arbeit fernzubleiben, der es verhindern wollte, dass man ihnen für diese Zeit auch Wochenhilfe zahlt.“

Louise Schroeder 1925 im Reichstag

Vor allem die Verbesserung der Lebenssituation lediger Mütter war ihr ein Anliegen.

„Wir wissen wohl, dass manches, was für den Mann eine Episode ist, für die Frau Schicksal ist; wir wissen alle, dass zwischen dem Empfinden des Mannes und der Frau ein großer Unterschied ist. Aber wir wollen verhindern, dass das, was für den Mann vielleicht Episode ist, zum Unheil, zum ewigen Unglück für die Frau werden soll, und wir wollen, dass das, was sie stark machen kann, nämlich gerade das Kind, ihr auch bleiben soll, dass sie die Möglichkeit haben soll, mit diesem Kind zusammenzuleben“.

Louise Schroeder im sozialpolitischen Ausschuss des Reichstages

Sozialpolitik statt Aufrüstung

Seit 1919 engagierte sie sich in der von ihr mit gegründeten Arbeiterwohlfahrt, einer Selbsthilfe-Organisation der Arbeiterschaft für Menschen in Not. Als Leiterin des städtischen Pflegeamtes Altona kümmerte sie sich um die Fürsorge für „gefährdete Mädchen“ und Prostituierte. Die Altonaer Notgemeinschaft, ein Zusammenschluss von Wohlfahrtseinrichtungen, unterstützte unter ihrer Führung arme Familien, bedürftige Alte und schwangere Frauen und organisierte kostenlose Mittagstische für Vorschul- und Schulkinder.

„Der Bürgerblock hat Verrat geübt an den durch die Inflation Geschädigten, lehnt Mittel für die Kinderspeisungen ab, bewilligt aber Millionen für Millionen für den Bau eines Panzerkreuzers.“

Louise Schroeder 1928 auf einer Wahlkundgebung der SPD in Altona
Nichte Karla Seyfahrt, Louise Schroeder, ihre Mutter und Schwester Anna, Anfang 1930, im Garten in Altona (v. l. nach r.), Foto: Privater Familiennachlass

Frühe Mahnerin gegen Hitler

Von 1929 bis 1933 übernahm Louise Schroeder - neben ihrem Reichstagsmandat - ein Mandat als Altonaer Stadtverordnete. Auf der letzten öffentlichen Wahlkundgebung der SPD für die Stadtverordnetenwahl im Frühjahr 1933 in Ottensen warnte Louise Schroeder vor den Nationalsozialisten.

„Ich vergesse nie die letzte große SPD-Veranstaltung in den Altonaer Ausstellungshallen an der Bernadottestraße. Meine Tante, Louise Schroeder, sprach. … mit einmal merkten wir, wie rundherum Leute sich recht unauffällig drapierten, da wussten wir, dass damals schon Kriminalpolizei oder wie du es nennen willst, uns beobachtete. Es kann auch schon Anfang '33 gewesen sein, jedenfalls war es die letzte Veranstaltung der Altonaer SPD vor der Reichstagswahl vom 5.3.33. Ich weiß noch, wie meine Tante in die Versammlung hineinrief: "Wenn ihr die Nazis wählt, wählt ihr den Krieg!" Da wurde die Versammlung geschlossen. Und bald danach kamen immer öfter Genossen und sagten, der ist weg, jener ist abgeholt worden, der ist auch weg.“

Karla Seyfarth, 20.6.1986

Im Reichstag stimmte Louise Schroeder am 23. März 1933 mit der SPD gegen das „Ermächtigungsgesetz“, das die Nationalsozialisten an die Macht brachte; in der vorbereitenden Fraktionssitzung hatte sie entscheidend dazu beigetragen, dass sich trotz Gewaltandrohungen der SS und trotz der Gefahr von Verhaftung die meisten SPD-Abgeordneten zu diesem mutigen Schritt durchrangen.

Polizeiüberwachung in der NS-Zeit

SA-Aufmarsch am Altonaer Bahnhofsvorplatz, 1934, Foto: Stadtteilarchiv Ottensen/ G. Hülsebusch

Nach der Machtübernahme 1933 verboten die Nationalsozialisten die SPD, viele Mitglieder wurden verfolgt und umgebracht. Louise Schroeder verlor alle politischen Ämter und wurde polizeilich überwacht. Arbeitslos, versuchte sie ihre Existenz mit einem kleinen Brotgeschäft in Hamburg zu sichern. 1938 zog sie nach Berlin, wo sie als Sekretärin und Sozialarbeiterin für eine Baufirma tätig wurde.

Bürgermeisterin von Berlin

Nach Kriegsende 1945 half sie mit beim demokratischen Wiederaufbau Deutschlands. Wieder übernahm sie führende Ämter in Politik, Verwaltung und Sozialverbänden, nun in Berlin.

In den Jahren 1947/48, als der vom Stadtparlament zum Oberbürgermeister gewählte Ernst Reuter von der sowjetischen Kommandantur abgelehnt wurde, fiel Louise Schroeder das Amt der amtierende Bürgermeisterin von Berlin zu. In der schwierigen Zeit der Blockade durch die sowjetische Besatzungsmacht engagierte sie sich für soziale Belange, für Frieden, Versöhnung und Völkerverständigung. „Mutter Berlins“ – so nannten sie die Berliner und Berlinerinnen.

Von 1949 bis zu ihrem Tod war sie Mitglied des Deutschen Bundestages.

Am 4. Juni 1957 starb Louise Schroeder in Berlin. Sie wurde mit einem Staatsakt geehrt und auf dem Evangelischen Friedhof Am Holstenkamp in Altona beigesetzt. Heute gilt sie als eine der bedeutendsten Sozialpolitikerinnen und Sozialreformerinnen der Weimarer Republik.

Die „Louise-Schroeder-Schule“ in der Thedestraße

 

Als die Grundschule Chemnitzstraße 2008 nach dem Umzug in die Thedestraße einen neuen Namen suchte, nannte sie sich mit Unterstützung des Stadtteilarchivs Ottensen „Louise Schroeder Schule“, nicht nur, weil die Thedestraße Geburts- und Wohnort der Namensgeberin gewesen war, sondern weil:

„ihr Lebensweg zeigt, dass es gelingen kann,
- aus Armut, Not und Abhängigkeit herauszuwachsen
- ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen und sich gleichzeitig
- auch unter schwierigsten Umständen politisch dafür einzusetzen,
- dass dies für immer mehr Menschen, für immer mehr Frauen und Kinder möglich wird.“

Schulleiter Michael Rieger

Link zur Louise Schroeder Schul-Website