Stadtteilarchiv Ottensen Altona

Betty Levi

Die Gedenktafel an der Betty-Levi-Passage wurde im Jahr 1999 auf Anregung des Stadtteilarchivs Ottensen aufgestellt und erinnert seitdem am Beispiel des Stammbaumes der Familie Levi an die Geschichte der Altonaer Juden und Jüdinnen. Die Familie mütterlicherseits des Rechtsanwalts Moses Levi, den die 22-jährige Berlinerin Betty Lindenberger 1905 heiratete, war seit neun Generationen in Altona ansässig.

Betty Lindenberger und Moses Levi vor der Hochzeit, Foto: Stadtteilarchiv Ottensen

Betty Levi wurde am 10. März 1882 in Ostpreußen als Tochter von Isaac Lindenberger, einem Geschäftsinhaber in der Fischverarbeitungsbranche, und seiner Frau Ernestine (Esther) geboren. Die Familie zog nach Berlin, wo Betty aufwuchs und eine Ausbildung als Pianistin erhielt.

Heirat mit Moses Levi

Betty Levi mit Tochter Elisabeth, Foto: Stadtteilarchiv Ottensen

Nach der Eheschließung mit dem Altonaer Rechtsanwalt Moses Levi gab Betty Levi ihre musikalische Ausbildung auf. Ihr hätte eine Konzert-Karriere offen gestanden, doch öffentliche Auftritte galten für eine orthodoxe und verheiratete Jüdin ihrer Zeit als unpassend.

Zwischen 1908 und 1916 brachte Betty Levi vier Kinder zur Welt: Elisabeth, Käthe, Walter und Herta.

Herta, Käthe, Elisabeth und Walter, Foto: Stadtteilarchiv Ottensen

Wohnhaus am Elbhang

1920 erwarb Moses Levi das Haus Klopstockstraße 23 in Ottensen als Wohnsitz für die Familie. Betty Levi lebte das Leben einer angesehenen bürgerlichen Hausfrau. Sie zog ihre Kinder groß, war eine Meisterin im Kochen und Backen und widmete sich privat dem Klavierspiel und kunstvollen Handarbeiten.

Klopstockstraße, 1914, Foto: Stadtteilarchiv Ottensen

Verfolgung im Nationalsozialismus

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann die Verfolgung und Entrechtung der jüdischen Bevölkerung. Eine erste Fluchtwelle von Altonaer Juden und Jüdinnen setzte ein, doch das Ehepaar Levi dachte nicht an Emigration.

„Als dann Hitler an die Macht gelangte, war es in unserem Haus keineswegs die Frage, wie schnell können wir hinaus. Der Familienstamm meines Vaters erstreckte sich weit zurück. Im 16. Jahrhundert aus Dessau nach Altona gewandert… So kam es meinen Eltern nicht in den Sinn, Deutschland zu verlassen. Was wir, ihre vier Kinder unternahmen, war unsere Angelegenheit. Aber meine Eltern bereiteten nichts vor. Es war zu absurd, der Realität Glauben zu schenken.“

Herta Grove, Tochter
Betty und Moses Levi auf dem Balkon des Hauses Klopstockstraße 23, Foto: Stadtteilarchiv Ottensen

Schon 1932 war die älteste Tochter Elisabeth mit ihrem Mann aus beruflichen Gründen nach Kopenhagen gezogen. Sohn Walter wanderte 1936 nach England aus.

Am 4. März 1938 wurde Betty Levi Witwe; ihr Mann, seit 1933 von den Nationalsozialisten mit Berufsverbot belegt, starb zwei Tage nach seinem 65. Geburtstag. Im selben Jahr wurde ihr Haus enteignet, das der Planung von nie realisierten Monumentalbauten der „Gauhauptstadt Hamburg“ am Elbufer im Wege stand. Vermögenswerte und Wertgegenstände musste sie bald abliefern. 1939 konnten die Töchter Käthe und Herta mit einem Haushaltsvisum nach England emigrieren. Es gelang nicht, auch für die Mutter eine Einreisegenehmigung zu erwirken.

Nationalsozialistischer Aufmarsch am Rathaus Altona, 1933, Foto: Staatsarchiv Hamburg

Deportation nach Auschwitz

Betty Levi musste ins Jüdische Altersheim in der Hamburger Sedanstraße umziehen. Ihre Lebensumstände waren hoffnungslos, sie litt Hunger. Am 11. Juli 1942 wurde sie im Alter von sechzig Jahren ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert.

Betty-Levi-Passage

Seit dem 27. Januar 1997, dem Gedenktag zur Befreiung des Lagers Auschwitz, gibt es durch Initiative des Stadtteilarchivs Ottensen in Sichtweite der Klopstockstraße ein Straßenschild „Betty-Levi-Passage“, das nach einer Feierstunde im unmittelbar an der Straße gelegenen Altonaer Rathaus von der Tochter Herta Grove aus Philadelphia enthüllt wurde.

„Wenn ich heute eine symbolische Kerze dafür anzünden darf, in der Hoffnung, dass dieses Schild, die Betty-Levi-Passage, als Sammelname für die vielen Tausende von Frauen, Mädchen und Kinder von Groß-Hamburg gelten soll und dazu dienen soll, unsere Nachkommen wachsam und alarmbereit zu halten, und zu aktivieren, wenn erforderlich, dann ist der Sinn unserer Feier heute hier erfüllt … Nur erinnern reicht nicht, das weckt nur Schmerz und Wehmut.“

Herta Grove
Herta Grove, aus: Unauslöschliche Erinnerungen

Herta Grove hatte erst gezögert, der Zeremonie beizuwohnen:

„Mein erster Gedanke war: Erst morden sie sie, dann feiern sie sie… Millionen sind unbeschreiblichen Umständen zum Opfer gefallen. Das sitzt in unserem Gedächtnis eingebrannt.“ Doch im Kontakt mit ihrer ehemaligen Schule, dem heutigen Gymnasium Allee, änderte sie ihre Meinung: „Die Erfahrung, was die Lehrer in meiner alten Schule im Geschichtsunterricht heute leisten, hat mir gezeigt, dass es Sinn macht.“

Herta Grove

Ein Stolperstein für Betty Levi

Auf Initiative der Schulsprecher und Schulsprecherinnen des Gymnasiums Allee in Altona setzte der Künstler Gunter Demnig 2003 einen Stolperstein für Betty Levi vor ihrem ehemaligen Wohnhaus. Die 87-jährige Tochter Herta Grove reiste aus den USA an. Sie hatte bis 1933 das Gymnasium an der heutigen Max-Brauer-Allee besucht, musste dann wegen ihrer jüdischen Herkunft die Schule verlassen und ging nach Berlin, wo sie auch ohne Abitur eine musikpädagogische Ausbildung machen konnte. 1939 gelang es ihr, mit einem Visum als Haushaltshilfe nach England zu entkommen. Nach dem Krieg emigrierte sie mit ihrem Ehemann in die USA.

Schülerinnen, Schüler des Gymnasiums Allee, mit Schuleiter Ulrich Mumm und Herta Grove, Bild aus: Bahrenfelder Nachrichten, Nov. 2003

„Leute, die die Klopstockstraße entlang gehen, sind nun gezwungen, die andauernde Gegenwart meiner Tante wahrzunehmen, wenn sie an ihrem Haus vorbeikommen.“

Herbert Lindenberger, Neffe

Das Stolperstein-Projekt

„Hier wohnte…“ so beginnt der Text auf den Messingplatten der Stolpersteine, mit denen der Kölner Künstler Gunter Demnig seit 1993 an Opfer des Nationalsozialismus erinnert: Menschen jüdischer Herkunft, Deserteure, politisch Verfolgte, Opfer der „Euthanasie“, Zeugen Jehovas und Homosexuelle. Die Stolpersteine liegen im Bürgersteig vor Wohnhäusern, wo die Verfolgten vor ihrer Deportation, Festnahme oder Flucht gelebt haben.

„Vor Ort erinnert der Stolperstein die Anwohner an das Geschehen. Er verhindert das Vergessen, er bringt den Namen des einzelnen Verfolgten zurück. Das Grauen begann nicht in Treblinka, sondern im heimischen Wohnzimmer. Ich meine damit, dass Menschen sozial immer weiter heruntergestuft wurden, bis sie im „Judenhaus“ landeten und ihre Heimat verlassen mussten. Und alle haben es gelesen, gesehen und gehört! Auch deshalb bringe ich die Namen in die alte Umgebung zurück… Der Stein schafft einen Ort der Erinnerung.“

Interview mit Gunter Deming, geführt von Beate Meyer, 2008
Gunter Demnig bei einer Stolpersteinverlegung in Altona, 2008, Foto: Gesche Cordes

Das Projekt lebt durch das Engagement von Privatpersonen, die Steine werden über Patenschaften finanziert. Seit 1993 ist so „ein Denkmal von unten“ entstanden, ein dezentrales, andauerndes Erinnerungsprojekt, das sich inzwischen auch in andere europäische Länder ausgeweitet hat.

Link zur Biografie von Betty Levi auf der Webseite der Stolperstein-Initiative

 

Das Stadtteilarchiv Ottensen beteiligt sich an der biografischen Recherche zu den Menschen, für die Stolpersteine verlegt wurden, und unterstützt das Projekt. Die Geschichtswerkstatt unterstützt Nachforschungen von Archivnutzern und bietet einen Rundgang entlang von Stolpersteinen in Ottensen an.

Im Herbst 2015 erschien die erweiterte Neuauflage des Buches: Stolpersteine in Hamburg-Altona. Biographische Spurensuche, von Birgit Gewehr (Stadtteilarchiv Ottensen), hrsg. von der Landeszentale für Poltische Bildung Hamburg und dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden.

Link zu der Buchreihe zu den Stolpersteinen in Hamburger Stadtteilen